Die restaurierte Fachwerkwand bildet einen Hingucker im Gesamtensemble der Wand des Nassauer Baues.
(Foto: Volker Mattern)
(vm).Es sind oftmals die Zufälle, die zu Überraschungen führen und diese sich zu einer kleinen Sensation entpuppen, die wiederum zu bleibenden Veränderungen führt. Wer durch den Torbogen auf den Burghof kommt und seinen Blick nach rechts lenkt, dem wird fast automatisch die Fachwerkwand des Nassauer Baus ins Auge fallen. Sie ist ein echter Hingucker. Im bauhistorisch-restauratorischen Untersuchungsbericht wird die Begeisterung spürbar. Da schreibt der Diplomrestaurator Hanno Born: „Wäre die Betitelung eines Sensationsfundus nicht medial so überstrapaziert, würde diese auf einen Fund im Februar 2023 auf der Burg Gleiberg in jedem Fall zutreffen.“ Eigentlich sollte Anfang des vergangenen Jahres nur die marode Verschieferung erneuert werden. Dabei kam Fachwerk zum Vorschein, der Vorstand des Gleiberg-Verein eilte schnell zur Baustelle und in enger Abstimmung mit der Denkmalpflege reifte ohne langes Zögern der Entschluss, dass hier mehr zu tun sei, als ursprünglich geplant. Die zum Vorschein gekommene, schmucke Eichenholz-Fachwerkwand, mit ihrem aufwändig gestalteten Zierfachwerk, wurde vor ca. 370 Jahren errichtet. Fragen nach der Herkunft und Wertigkeit des Schnitzwerks lösten die Beauftragung einer Begutachtung durch Matthias Kornitzky, vom freien Institut für Bauforschung und Dokumentation e.V. Marburg, aus, dem die inzwischen abgeschlossenen Restaurierungsarbeiten durch Hanno Born folgten. Der schreibt in seinem Abschlussbericht weiter, „Die Auszierung umfasst dekorative Elemente, die zumeist in mehrfach wiederkehrender Form eingesetzt wurden und sich der Stilistik der Renaissance und des Barock zuordnen lassen.” Unter anderem handelt es sich hierbei um Tulpen nachempfundene Kopfbänder, wie sie für oberhessisches Fachwerk durchaus typisch sind. Hingegen so gut wie nicht bekannt in der Region die Fächerrosetten und der Flechtkranz zur Hervorhebung der Fensterachsen.
Kunstvolle Schnitzereien wieder sichtbar gemacht.
(Foto: Volker Mattern)
Dr. Jürgen Leib, Schriftführer im Vorstand des Gleiberg-Verein, profunder Kenner der Burggeschichte, zudem Burgführer, stellt fest, dass die Analyse von Holzproben, die den Balken entnommen wurden sowie die Auswertung von Archivalien, einerseits die schon bekannten Fakten zur Baugeschichte der Unterburg bestätigten, andererseits aber auch neue Details durch die Fachwerkfreilegung und die Restauration, hinzukamen. Die Unterburg wurde im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts errichtet. Im Zusammenhang mit der Zerstörung der Oberburg durch Kanonenbeschuss im Jahre 1646 wurde sie, bis auf die steinernen Grundmauern, zerstört. In der ersten Hälfte der 1650er Jahre erfolgte ihr Wiederaufbau. Die Wand zeigt sich jetzt ihren Betrachtern in ihrem Urzustand. Dieser wies keine Verkleidung auf und das gesamte Fachwerk, einschließlich der kunstvollen Schnitzereien, waren weder gestrichen noch farblich angelegt. Später erst erfolgte, wie auch bei den übrigen Fassaden der Unterburg, ein mehrfacher Verputz, die Lattung, die Verschalung mit Brettern und vermutlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Verkleidung durch Schiefer. Die beiden gekrümmten, großen Balken lassen auf Holzmangel beim Wiederaufbau der Unterburg schließen, so dass auch nicht grade gewachsene Bäume verwendet werden mussten. Abgesehen von dem modernen, rechten Fenster, waren einst vier Fenster geplant und zwar zwei links und eines rechts des einzigen, zunächst eingebauten, dann verschlossenen Fensters. Dieses ist durch das Flechtwerk mit Strohlehmbewurf noch gut erkennbar. Bauleiter beim Wiederaufbau der Unterburg, so Jürgen Leib, war der aus Gießen stammende und in Herborn wohnende, Christoph Stroh. Durch ihn dürften Stilelemente von Schmuckhölzern Herborner Fachwerkhäuser, wie sie aus dem 17. Jahrhundert dort bekannt waren, ihren Weg auch nach Gleiberg gefunden haben, wird aus den Expertenkreisen vermutet. Auffallend, dass sie allerdings auf der Burg individueller und künstlerisch anspruchsvoller ausgeführt wurden, wie beispielsweise die geschweiften Feuerböcke und die Sonnengesichter in der Wand zeigen. Der Gleiberg-Verein mit seinem Vorsitzenden, Andreas Kraft, hatte nie Zweifel, dass mit der Freilegung und Restauration der Fachwerkwand die richtige Entscheidung getroffen wurde, da sie auch für die Nachwelt ein eindrucksvolles Zeugnis der Bauhistorie und Baukunst darstellt. Es fielen Gesamtkosten in Höhe von rund 30.000 € an. Dankbar sind die Verantwortlichen des Gleiberg-Vereins deshalb für Zuschüsse zur Finanzierung der Maßnahme durch das Hessische Landesamt für Denkmalspflege, die Gemeinde Wettenberg und den Landkreis Gießen. Sie wurden entweder bereits bezahlt oder beantragt. Andreas Kraft und der 2. Vorsitzende, Gerhard Schmidt, unterstreichen die bewährte, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Dr. Hannah Völker vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen und Charlotte Bairstow von der Denkmalschutzbehörde des Kreises. Geplant ist nun noch die Anbringung einer Info-Tafel, die den Besuchern der Burg diesen, in Zusammenhang mit der Freilegung des Fachwerks, bekannt gewordenen, weiteren historischen Zusammenhang näher bringt und einige Details der Restaurationsarbeiten vermittelt.
Kunstvolle Schnitzereien wieder sichtbar gemacht.
(Foto: Volker Mattern)