Von „Zonen der Angst“ im Leben eines Politikers, schwieriger Mutterliebe und baskischen Irritationen

Wir wagen einen relativen Spagat. Soll heißen: Die Auswahl an Buchempfehlungen spricht heute gewiss unterschiedliche Zielgruppen an. Da ist die schonungslose Autobiografie des SPD-Politikers Michael Roth, ist der neue Baskenland-/Aquitaine-Krimi von Alexander Oetker, und in zwei Fällen schreiben prominente Autoren, nämlich Andrea Sawatzki und Michel Bergmann, über ihre Mütter, über den schwierigen Umgang mit deren Ausformungen von Zuneigung.

Der aus Nordhessen stammende Roth (*1970) war von 1998 an viele Jahre im Bundestag, war Staatsminister für Europa, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und aussichtsreicher Bewerber um das Amt des Co-Parteivorsitzenden. Jüngst legte er ausführlich Rechenschaft darüber ab, warum er sich aus der Berufspolitik zurückzog. „Zonen der Angst. Über Leben und Leidenschaft in der Politik” heißt das im Verlag C.H. Beck erschienene Buch (Hardcover, 302 Seiten, 26 Euro), das von einer gerade radikalen Offenheit ist. In einer Rezension für die „Süddeutsche Zeitung” lobte der Journalist Nils Minkmar, ebenso wie in seinem Blog „Der siebte Tag”, Roths schonungslosen Blick auf die Politik, inklusive der eigenen Partei, und auf die persönlichen Erfahrungen. Das Buch behandelt zudem Roths Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen. Ganz heftig. Wer es liest, bekommt ganz anbei einen anderen Blick auf den Krieg in der Ukraine, auf die Unruhen im Nahen Osten (Israel/Gaza) – schaut fortan „Tagesschau” und „Heute” mit völlig anderen Augen.

Die Titelabbildungen der heute empfohlenen Bücher plus Fotos der Autoren: Andrea Sawatzki, Michel Bergmann, Michael Roth und – Gleiberg-Gemälde inklusive – Alexander Oetker.
Fotos/Titelscans: no, Valeria Mitelman (A.S.), Bogenberger / Diogenes (M.B.)

Die breite Öffentlichkeit kennt Andrea Sawatzki als bestechende Schauspielerin (u.a. „Tatort” Frankfurt), das literarisch interessierte Publikum schätzt sie hingegen als feinsinnige Autorin. Nach ihrem Bestseller „Ein allzu braves Mädchen”, den Büchern um die Familie Bundschuh und dem autofiktionalen Roman „Brunnenstraße”, in dessen Mittelpunkt ihr an Demenz erkrankter Vater stand, folgte unlängst „Biarritz“, ein psychologisch schillernder Roman über die Beziehung zu ihrer verwitweten Mutter (Verlag Piper, Hardcover, 160 Seiten, 22 Euro). Ehedem war die Alleinerziehende „die schönste und beste Mutter von allen”, doch irgendwann änderte sich etwas in der Beziehung. Mittlerweile ist Emmi ein Pflegefall – und Sawatzkis Protagonistin Hanna sucht, auch des Friedens mit sich selbst wegen, Wege der Aussöhnung. Sehr einfühlsam – gleichwohl für Rezipienten keine leichte Kost.

Passend dazu ein Buch aus dem Regal gezogen, das hier noch nicht vorgestellt wurde: Der diesen Sommer verstorbene Regisseur, Filmproduzent, Journalist und Schriftsteller Michel Bergmann (*1945), Kind internierter jüdischer Flüchtlinge, Kindheit und Jugend in Paris und Frankfurt/Main, hatte 2022 das ungemein berührende Buch „Mameleben” vorgelegt (Verlag Diogenes, Hardcover o. Taschenbuch, 250 Seiten, 25 o. 14 Euro). Eine Äußerung des Autors sagte alles zum Inhalt: „Sie liebte mich (…) und wollte mir alles geben, was ihr verwehrt worden war. Doch es war eine fordernde Liebe, eine unerbittliche (…), eine gnadenlose (…). Und die Ursache für dieses Buch.” Wir teilen die Meinung von Literatur-Fachfrau Elke Heidenreich: „»Wir lachen und weinen beim Lesen und beglückwünschen den Autor zu einem grandiosen, unvergesslichen Buch, aus Schmerz und Liebe geschrieben.«

Womit wir bei der vierten Neuvorstellung für heute wären, dem zehnten Luc-Verlain-Krimi aus der Feder von Bestseller-Autor Alexander Oetker, „Wolfstal” (Verlag Hoffmann und Campe, Paperback, 336 Seiten, 18 Euro). Der Mann ist bei uns bekannt, war er doch im November 2022 auf Burg Gleiberg für eine Lesung zu Gast bei den Wettenberger Deutschfranzosen. Die Romanreihe spielt im französischen Südwesten, rund um Bordeaux, an der Küste der Aquitaine oder – grenzüberschreitend – im Baskenland. Der einmal mehr fein konstruierte neue Verlain ist in Espelette angesiedelt, dem Pimentdorf am Fuß der Pyrenäen. Die Motive der Handlung reichen zum Teil weit zurück. Zudem flicht der Autor ablenkende, nur Leserinteresse weckende, für den Handlungsstrang aber eher unwesentliche Sidekicks ein – inklusive Titel (Hilfe, die bösen Wölfe!) und Untertitel (Schlagwort Jakobsweg, dabei ist’s dort nur ein Nebenpfad, ein Zubringer). Gleichwohl: Ein landeskundlich wie kulinarisch äußerst anregender Roman – Kurzweil und Spannung inklusive.

Bis bald! Im Dezember folgen weitere Buch-Empfehlungen – mit Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque, Mascha Kaleko, Harald Jähners ausführlichem Blick in die Gründerzeit der Bundesrepublik Deutschland und Ulrich Wickerts neuem Paris-Roman.

No. Schmidt

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